Internet Governance: Was kam bei NetMundial heraus?

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Die Ergebnisse der Brasilien-Konferenz NetMundial geben Stoff für disparate Interpretationen: Einige feiern die Konferenz als ein historischer Schritt für die demokratische Entwicklung des Internets, andere beklagen die starke Verwässerung des Dokuments hinsichtlich der Themen wie Privatsphäre oder Massenüberwachung, die Anlass für die Veranstaltung waren. So haben internationale NGOs wie die Electronic Frontier Foundation oder Article 19 zusammen mit anderen Organisationen mehrheitlich aus dem lateinamerikanischen Raum in einer Stellungnahme über die NGO-Plattform best bits ihre Unzufriedenheit öffentlich gemacht.

Rein prozessual stellt Professor Milton Mueller (IGP, Allianz von Wissenschaftler zu Fragen globaler Internet Governance) der an der NetMundial-Konferenz teilnahm, eine grobe Parität (rough parity) zwischen den Stakeholder fest. Professor Mueller plädiert in seinem Konferenzbericht dafür, sich auf das das Verfahren an sich zu konzentrieren, statt allzu viel Aufmerksamkeit den Prinzipien über Menschenrechte online zu schenken. Schließlich kreisten die wichtigsten Debatten um Verfahrensfragen und Macht und Kompetenzen der Akteure im Netz. Immerhin gelang es, den Vertretern aus den verschiedenen Sektoren (Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, technischer Community und Regierung) ein Policy-Dokument zu produzieren. Dass dies mittels des sog. Multistakeholder-Modells möglich war, gilt bereits als Rarität.

Tatsächlich hilft ein Blick in der Geschichte des Multistakeholder-Prinzips und der Rolle der nicht-Regierungsakteure, um die Ergebnisse historisch und politisch besser einzuordnen. Anfängliche Multistakeholder-Schritte sind bereits in der Weltmenschenrechtskonferenz von 1993 zu entnehmen. Damals durften NGOs daran zwar teilnehmen; die Zivilgesellschaft und die Regierungen tagten jedoch parallel – nicht miteinander. Die Abschlusserklärung war ein multilaterales Dokument, in dem die Wichtigkeit der NGOs für die Infrastruktur der Menschenrechte anerkannt wurde. Daraus sollte allerdings keine Kompetenzteilung abgeleitet werden. Auch die Working Group on Internet Governance (WGIG) war ein weiterer Schritt in Richtung Multistakeholderismus: die übersichtliche Multistakeholder-Arbeitsgruppe traf sich auf Augenhöhe. Das Abschlussdokument schaffte es aber nicht, gemeinsame Standpunkte festzulegen, sondern wies stattdessen auf verschiedene Lösungsentwürfe für die kontroversesten Themen hin. Auch der Evaluationsprozess der UNESCO zum Weltgipfel Informationsgesellschaft (WSIS+10) im Februar 2013 kann als weiterer Präzedenzfall betrachtet werden, wenn auch die Ergebnisse lediglich unkritische Themen widerspiegelten.

Die Position der Stakeholder der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und technischen Gemeinschaft wurde vor diesem Hintergrund sowohl prozessual als auch in Bezug auf die Partizipationsrechte mit der Konferenz gestärkt. Die Zivilgesellschaft sowie die wissenschaftlichen und technischen Gemeinschaften konnte sich in der letzten Entwurfsrunde allerdings nur bedingt einbringen. Stakeholder aus der Regierung und der Wirtschaft behielten den Text in der Hand. Die Zivilgesellschaft konnte zuletzt allein durch den wissenschatlichen Co-Chair sowie zivilgesellschaftlichen Track-Chairs aktiv teilnehmen. Darüber hinaus waren sie lediglich als Beobachter zugelassen. Innerhalb dieser letzten redaktionellen Arbeitsstunden wurde der Text relativ stark abgeschwächt. Das Prozedere und die editoriellen Abschwächungen führten zu ersten enttäuschten Reaktionen bei Netzpolitik oder auch im Deutschlandfunk.

Umso bemerkenswerter ist angesichts der Verfahrensweise­­­ bei der letzten Polierarbeiten des Schlussdokumentes sein Inhalt hinsichtlich künftiger Verfahrensprinzipien: während in der WSIS Erklärung ein multilaterales Management des Internets in Kooperation mit den anderen Stakeholdern festgelegt wird, bestätigt NetMundial das Multistakeholder Modell als Manifestation des Demokratischen und als im Bereich der Internet Governance angemessenes Prinzip. Fora wie das UN Internet Governance Forum werden in dem Dokument gestärkt. Die Definition der Kompetenzen wird allerdings dem Kontext überlassen und bleibt somit genauso unbestimmt wie die Definition von Konsens zwischen den Stakeholder. Da das Dokument von den jeweiligen Nationalstaaten zu implementieren ist, bleibt den Regierungs-Stakeholdern recht weiter Spielraum in der Gestaltung der Einbindung anderer Stakeholder sowie deren Grad an Partizipation und Einfluss. Allerdings gehen internationale Abschlusserklärungen selten weiter über einen minimalen Konsens zwischen verschiedenen Kulturen und politisch-ökonomischen Interessen hinaus.

IGF-D Vorbereitungstreffen (Bild: Tobias Schwarz/Netzpiloten, CC BY 4.0)

Prof. Michael Rotert im Gespräch mit Lorena Jaume-Palasí und Dr. Beate Wagner beim IGF-D Vorbereitungstreffen (Bild: Tobias Schwarz/Netzpiloten, CC BY 4.0)

Der menschenrechtsspezifische Bereich bringt einerseits Unmut, andererseits aber auch einige positive Neuigkeiten: Unmut insbesondere der Zivilgesellschaft sowie der wissenschaftlichen und technischen Gemeinschaft provozieren wohl die Passagen zu Massenüberwachung, Urheberrecht, genehmigungsfreier Innovation, Netz-Neutralität und Vermittler Haftung. Gleiches gilt für die Trennung des operativen vom Policy-Bereich bei IANA. In all diesen Punkten gibt es inhaltsleeren und bisweilen widersprüchliche Formulierungen. Die Enttäuschung wiegt schwer, da unterschiedliche Gremien (beispielsweise das deutsche IGF in seinem Vorbereitungstreffen zu NetMundial) eine Stärkung dieser Rechte explizit vorab angefordert hatten und auf die Durchsetzungsstärke von Präsidentin Rousseff setzte.

Positiv fallen zuletzt neben der Inklusion der Menschenrechtsperspektive, die Erwähnung der Prinzipien der Gleichheit, Offenheit, Demokratie, Transparenz, Dezentralisierung, Rechenschaftspflicht, Recht auf Zugang, gemeinsamer Nutzung und Verteilung von Informationen. Das Internet wird sogar als globale Ressource beschrieben, die im Interesse der Öffentlichkeit zu verwalten ist. Allein die Erwähnung ist eine Neuigkeit und zusammen mit den obigen prozessualen Neuerungen in der Tat eine kleine „Innovation für die internationale Diplomatie„.

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Lorena Jaume-Palasi

Lorena Jaume-Palasi

Lorena Jaume-Palasí, Politikwissenschaftlerin, ist Dozentin am Lehrstuhl für Philosophie IV der Ludwig-Maximilians Universität in München. Sie promoviert zum Thema Moralverhandlungen in internationalen Beziehungen bei Prof. Julian Nida-Rümelin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Konflikte und neue Technologien in internationalen Governance-Strukturen sowie Strategien kollektiver Akteure und kollektiver Rationalität.

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1 Antwort

  1. 1.05.2014

    […] statt. Neben einem Appell zum Schutz der Privatsphäre und gegen Überwachung sprach man sich auch für ein globales und offenes Internet aus. Vom 12. bis 13. Juni folgt nun mit dem EuroDIG die bedeutendste europäische Zusammenkunft zur […]

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