Mehr freie Bildungsmedien, mehr Freiräume für Pädagogen, eine stärkere Bereitschaft der Politik, die geeigneten Voraussetzungen für Lernen und Lehren mit digitalen Medien zu schaffen – und mehr “Magie” im Bildungsbereich. Das forderten Expertinnen und Experten der Co:llaboratory-Initiative “Lernen in der digitalen Gesellschaft”.
Was bedeutet Lernen mit digitalen Medien? Welche Chancen eröffnet das Internet im Bildungsbereich? Welche Voraussetzungen müssen für ein vernetztes Lernen geschaffen werden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Abschlussveranstaltung der Initiative „Lernen in der digitalen Gesellschaft“, die am 30. Januar 2013 in Kooperation mit der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung stattfand.
So vielfältig wie die Hintergründe der 35 Expertinnen und Experten, die das Thema in der seit Oktober 2012 laufenden Initiative bearbeiteten, war auch das Publikum: Über 140 Interessierte aus Bildungsinstitutionen, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft hatten sich in der Hertie School of Governance versammelt, um sich über künftige Formen des Lernens mit digitalen Medien und dafür sinnvolle Lernumgebungen zu sprechen.
Stefan Aufenanger spricht über das neue Lernen mit digitalen Medien
Nach einer Einführung in die Initiative eröffnete Prof. Dr. Stefan Aufenanger (Universität Mainz, Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik) mit seiner Keynote “Gefällt mir! Besser Lernen mit digitalen Medien” den Nachmittag (PDF Download)
Die Chancen der digitalen Lernkonzepte tatsächlich zu ergreifen ist laut Aufenanger bei der deutschen Bildungskultur mühsam: Medienskepsis ist in Deutschland ein verbreitetes Phänomen, obwohl unser Alltag längst von Digitalisierung bestimmt und Online-Kommunikation weder aus dem privaten noch aus dem beruflichen Leben wegzudenken ist. Vor dem Hintergrund von Kompetenzen für digitale Medien und Herausforderungen machte Aufenanger deutlich, dass neue Lernkonzepte und ein Blickwechsel von “Lernen mit neuen Medien” zu “neuem Lernen mit Medien” notwendig sind.
In Themen-Sessions wurden die Ergebnisse der Expertengruppen gezeigt
Nach dieser Einführung und Anregung zum Thema gaben die Vertreterinnen und Vertreter des Expertenkreises Einblick in ihre Arbeiten und stellten die Ergebnisse der letzten drei Monate zur Diskussion. Je nach Interesse konnte das Publikum aus einem Sessionangebot zu verschiedenen Themen auswählen. Es wurden beispielsweise Sessions zum digitalen Medieneinsatz im schulischen Bereich, Open Educational Resources oder auch Online- und Offline-Lernen angeboten. Die Teilnehmenden fanden sich in Kleingruppen mit den jeweiligen Expertinnen und Experten zusammen und diskutierten über Fragen und Lösungen.
Inspirierender Philipp Schmidt ermutigt die Teilnehmenden zu mehr Experimenten
Nach der Sessionphase bereicherte Philipp Schmidt (Peer 2 Peer University, MIT Media Lab) die Teilnehmenden durch seine internationale Sichtweise. In seiner inspirierenden Keynote “Warum das MIT Media Lab kein Fan von Online-Kursen ist“ (PDF Download) stellte er fest, dass nicht die Onlinekurse, die verstärkt im Fokus des öffentlichen Interesses stehen, an sich ein Bildungs-Allheilmittel seien. Eher privilegierten Personen nutzten MOOCs und könnten bislang davon profitieren.
Aber dem Internet als Idee hingegen wies er großes Potential bei: Als hierarchiefreier Spiel-, Lern- und Arbeitsplatz, zu dem immer mehr Menschen Zugang haben, und an dem genau die Fähigkeiten gefordert und gefördert werden, die in der heutigen Welt vermehrt abverlangt werden. Die Fähigkeit zu kollaborieren, im Team zu arbeiten und seine Ideen überzeugend zu kommunizieren – all diese Fähigkeiten könnten in Zukunft wichtiger sein als der klassische Lebenslauf. Das Internet biete den (Frei-) Raum, an dem sich Menschen, die die gleichen Interessen verfolgen miteinander und voneinander lernen können. Eine so motivierende, flexible und effektive Arbeitsform, dass sie manchmal eine fast “magische” Eigendynamik entwickle. Der finanzielle und organisatorische Aufwand, online eine solche Lernumgebung zu schaffen, halte sich laut Schmidts Worten in Grenzen – und genau da liege die riesige Bildungschance digitaler Medien.
Die vollständige Keynote von Philipp Schmidt:
Auf dem Abschlusspodium wurden die Perspektiven zusammengeführt
In der anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Jutta Croll (Stiftung Digitale Chancen, Kernteammitglied der Initiative), wurde unter der Leitfrage, ob Lernen mit digitalen Medien revolutionär oder überschätzt sei, diskutiert.
Neben Luise Ludwig (Universität Mainz, Forschungsschwerpunkt Medienkonvergenz) und Sabine Frank (Google Deutschland, Jugendschutz und Medienkompetenz), die beide Mitglieder des Kernteams der Initiative sind und die Empfehlungen des Expertenkreises zur Diskussion stellten, nahmen Philipp Schmidt und unterschiedliche Entscheidungsträger daran teil: Michael Kretschmer, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion u.a. für Bildung und Medien verantwortlich, Anja Schillhaneck, Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin und Sprecherin für u.a. Wissenschaft und Forschung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Gabriele Lonz, Referatsleiterin im Bildungsministerium Rheinland Pfalz für medienpädagogische Grundsatzfragen.
Die Präsenz und Wichtigkeit digitaler Medien im Zusammenhang mit Lernen wurden dabei nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Dringlichkeit, mit der nun sinnvolle Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, wurden hingegen unterschiedlich wahrgenommen.
Für Michael Kretschmer sei diese Frage schon mehrere Schritte zu weit gedacht – zunächst müssten andere Bereiche des Bildungssystems reformiert werden. Anja Schillhaneck hingegen zeigte sich von einem freieren Lernen im Sinne des MIT Media Lab angetan und ließe gerne Lehrkräften Freiräume für “etwas Magie”, um innovative Formate auszuprobieren.
Mit Blick auf das überregulierte und viel diskutierte deutsche Bildungssystem müsste aber eine umsetzbare Einigung erzielt werden. Dahingehend waren sich alle Podiumsteilnehmenden einig.
Einblicke in die Empfehlungen und und nächste Schritte
Die Expertinnen und Experten beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themen und Bereichen. Hier ein Auszug ihrer Erkenntnisse und Empfehlungen:
- In Bildungsinstitutionen muss es Freiräume geben, um neue Lernformate – sei es online, offline oder an den Übergängen – zu probieren und voranzubringen
- Eine medienpädagogische Grundbildung muss in pädagogischen Studiengängen und Ausbildungen für alle pädagogischen Fachkräfte verpflichtend verankert sein.
- Offene und frei zugängliche Lernmittel müssen gefördert werden. Der Umgang mit dem Urheberrecht muss in diesem Zusammenhang ebenso neu verhandelt werden wie die Vergabe von Lizenzen sowie die Intensivierung der Diskussionen unter beteiligen Akteuren.
Selbst wenn es sich um einen “Abschluss”-Veranstaltung handelte, markierte sie nicht das Ende der Arbeit. Vielmehr fließen die Ergebnisse in einen umfangreichen Abschlussbericht ein. Bevor er im Frühjahr erscheint, finden sich erste Ergebnisse sowie Abstracts der finalen Artikel in der Tagungsbroschüre.
Als direkten Anschluss an die Abschlussveranstaltung stellen die Expertinnen und Experten in insgesamt acht Online-Fachgesprächen im Februar und März 2013 ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit vor. Jede Woche wird eine neue Fragestellung bearbeitet, wobei Expertinnen und Experten live und in Farbe über Google Hangout Präsentation geben und Fragen beantworten.
Weitere Informationen und Ergebnisse unter: lernen.collaboratory.de