2010 war ein spannendes Jahr – das Bundesverfassungsgericht erklärte die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und stoppte das Gesetz. Es war die Zeit der #EIDG, des “alten” BASE_Camps und von der heute bekannten Totalüberwachung des Netzes war da noch nicht die Rede. Eine gute Zeit, um das Bewusstsein für den digitalen Wandel in der Gesellschaft und Politik zu schärfen. 2010 wurde außerdem mit dem Internet & Gesellschaft Collaboratory ein Projekt geboren, das somit in einer spannenden Phase des digitalen Wandels als offene Plattform neue netzpolitische Gestaltungsspielräume eröffnete. Das junge Projekt initiert durch Google Deutschland stieß auf großes Interesse, und so mündeten die Debatten bereits 2012 in einer Ausgründung als gemeinnütziger Verein. Seither konnte sich der junge Internet & Gesellschaft Collaboratory e.V. auch über die “klassischen” netzpolitischen Themen hinaus als wertvolle Plattform und Brückenbauer etablieren. In unserer Rolle als Labor ist es uns gelungen, frischen Wind in die Themen um die Netzpolitik zu bringen und darüber hinaus nicht nur viele spannende Debatten sondern auch neue Initiativen anzustoßen.
Ich erinnere mich gerne an einige der vielen schönen und konstruktiven Momente, in denen das Collaboratory in bester Startup-Manier Gutes geleistet hat. Die CoLab-Initiativen haben nicht nur Studien, Austausch und Debatten angeregt und wertvolles Paperwork produziert, sondern konkrete Start-ups hervorgebracht – so beispielsweise das Social Start-up wEYE. Letztes Jahr haben wir mit “Smart Country” eine Debatte gestalten, mit der wir sogar bis nach China einen Nerv getroffen haben. Es ist uns gelungen, Blogger mit Professoren, Techies mit Juristen, Praktiker mit Geisteswissenschaftlern zusammen zu bringen. Das CoLab war immer mitten drin mit dem obersten Ziel, Leute zu vernetzen, Brücken zu bauen und die Debatten zu stärken.
Das Collaboratory heute und das Collaboratory aus seiner Gründungsphase funktioniert immer noch nach dem gleichen Spirit, wenngleich es sich immer mehr seiner größeren Verantwortung und den veränderten politischen Rahmenbedingungen stellen muss. Auch wir haben uns entwickelt und werden erwachsen. Und so sind wir heute nun in der glücklichen Position, die Geschäftsstelle des CoLab in die Hände eines in Politik und Wirtschaft erfahrenen Managers übergeben zu können. Mein Nachfolger Markus Schwertel wird zusammen mit dem Lenkungskreis, den Mitgliedern des Trägervereins sowie den Partnern und dem Beirat, eine in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit vielen leidenschaftlichen Unterstützern entwickelte Strategie der nachhaltigen Entwicklung des Vereins finalisieren und umsetzen. Es erfüllt mich mit Freude zu sehen, welchen Zuspruch das CoLab aus unterschiedlichsten Kreisen hinsichtlich seiner Rolle und Funktion im netzpolitischen Diskurs, der Art wie wir arbeiten, den Themen, die wir aufgreifen und den Akteuren, die wir zusammen bringen, erhält. Mit seiner Mission füllt das CoLab eine wichtige Lücke in der digitalpolitischen Landschaft.
Und doch wird man oft das Gefühl nicht los, dass sich digitalpolitisch zu wenig tut, unsere Führungseliten nur zögernd die Tragweite der Vernetzung erkennen und viele Bereiche unseres Landes von den Innovationen zu weit abgeschlagen sind, welche mit immer schneller werdender Geschwindigkeit unser Leben maßgeblich beeinflusst. Die Anzahl derer, die die Auswirkung von Digitalisierung und Vernetzung sowohl technisch als auch inhaltlich tiefgreifend verstanden haben, ist noch zu gering und findet politisch leider nicht ausreichend Gehör. Zugleich braucht es eine Stärkung der Kapazitäten in der Breite, eine Aufklärung in diversen Zweigen unserer Gesellschaft sowie eine Verbreitung kollaborativer Arbeits- und Lernansätze, damit nicht nur top-down, sondern auch bottom-up zukünftig stärker möglich ist.
Dabei könnte Deutschland eine Vorreiterrolle beim Thema Digitalisierung einnehmen. Wir sind ein wirtschaftlich starkes Land, für viele ein Vorbild. Um so überraschender scheint die zurückhaltende Haltung gegenüber der Digitalisierung. Bei manchen herrscht auch die Überzeugung vor, dass diese bedachte Langsamkeit eine Stärke sei. Das kann man so oder so sehen. Wir sollten den Veränderungen offen gegenüber stehen, gemeinsame Anstrengungen unternehmen, die Digitalisierung vor dem Hintergrund unserer Werte und Normen verständlich für die breiten Teile unserer Gesellschaft mitzugestalten. Im Schulterschluss mit einigen Vereinen, Organisationen, Wirtschaftsakteuren und nicht zuletzt Politikern, die erstklassige Arbeit diesbezüglich leisten, können wir auch hier deutlichere Fortschritte erzielen und mehr gestalten.
Das CoLab wird hier weiterhin tun was es kann, um digitales “Capacity Building” zu stärken, Zukunftsthemen zu erörtern, Akteure zu vernetzen, Plattform für Projekte und Diskurse zu sein und als Arbeitsmodell andere zu inspirieren. Dafür braucht es aber auch Unterstützung. Mehr Firmen, Verbände, Stiftungen und auch Privatpersonen müssen erkennen, dass Räume und Projekte wie das CoLab mit ihrem Engagement die Akzeptanz in der Gesellschaft erhöhen, dafür aber finanzielle Ressourcen benötigen.
Nach fünf ereignisreichen Jahren ziehe ich mit einem lachenden und weinenden Auge weiter, um mich neuen Herausforderungen zuzuwenden, bleibe aber den Themen und dem CoLab treu. Der Digitale Wandel transformiert seit vielen Jahren sämtliche gesellschaftliche Bereiche und wird zusehends stärker in immer mehr politischen, zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kreisen akzeptiert. Und doch liegt noch ein holpriger Weg vor uns, den das CoLab gemeinsam mit seinen Unterstützern ein stückweit glätten kann und wird.
Mit diesen Gedanken möchte ich mich zudem bei allen Bedanken, die meine Arbeit und die des CoLab möglich machen und gemacht haben, darunter sind hervorzuheben die aktuellen und vorangegangenen Mitglieder des Lenkungskreises, die vielen Partner des CoLab, sowie all die ehrenamtlichen Freunde und Unterstützer in und um das CoLab sowie seine Projekte und Diskurse.
Sebastian Haselbeck
Dieser Text ist die persönliche Meinung des Autors und stellt nicht eine Position des Vereins, seiner Mitglieder oder Partner dar.