Netzpolitik 2013 - was ist passiert?
Zum einen hat – der größtenteils wirkungslosen Arbeit der Enquete Kommission und der Irrelevanz des Themas bei den Bundestagswahlen zum Trotz – die Politik bis in die obersten Ebenen endlich proaktiv mit netzpolitischen Themen zu tun. Der Streit um die Vorratsdatenspeicherung, das Leistungsschutzrecht für Presseverlage und die “NSA Affaire” – was für ein Euphemismus – zum Dank, sind internetbezogene Themen endlich Teil der normalen Macht- und Parteipolitik. Obwohl in vielen Bereichen, wie dem Urheberrecht, die Fronten schon lange verhärtet sind und so gut wie nichts passiert ist, hat die Anerkennung der Relevanz der Netzpolitik nun zur Konsequenz dass ausgewiesene Netzpolitiker auch innerhalb der hierarchischen und traditionellen Strukturen ihrer eigenen Parteien an Einfluss gewonnen haben. Diese Entwicklung ist begrüßenswert, wenn auch das Ergebnis der Bundestagswahl eine insgesamt aus demokratischen Gesichtspunkten fragwürdige Regierung zu Folge hat, die insgesamt keine gesellschaftliche Mehrheit repräsentiert, und nur eine kleine zahnlose Opposition im Parlament zum Gegner hat.
Es wird sich zeigen, wie sich die politische Gestaltungskultur in dieser Legislaturperiode bewähren kann. Zankereien um Zuständigkeiten, exemplarisch am verzögerten Start des Ausschusses für Internet und Digitale Agenda – maritim kurz AIDA abgekürzt, werden sicherlich zur Tagesordnung gehören. Fortschrittliche Gesellschaftspolitik im digitalen Zeitalter würde anders aussehen, aber man kann hoffen, dass den Bremsern zum Trotz am Ende progressive Kräfte in der großen Koalition erfolgreich sein werden. Deutschland braucht schleunigst einen zeitgemäßeren politischen Umgang mit den Veränderungsprozessen, die unsere Gesellschaft längst durchdrungen haben, und sinnvolle Reaktionen auf die tagespolitischen Entwicklungen, von deren Ausgang nichts weniger als Wohlstand, Sicherheit sowie vor allem unsere Freiheit und Demokratie abhängen werden.
Zum anderen war es das Jahr, in dem Netzpolitik seine Unschuld verloren hat. Eine Realpolitik hat Einzug gehalten, die Gräben werden sichtbar, die ideologischen Brillen sitzen (wieder) auf den Nasen und der Optimismus ist verflogen. Außerdem hat sich die verspätete Erkenntnis breit gemacht, dass das Internet nicht einfach nur eine unschuldige Technologie ist, die ohne Weiteres automatisch zum Gemeinwohl beitragen wird. Wie bei jeder anderen Errungenschaft hat natürlich auch die Vernetzung ihre Schattenseiten. Die Digitalisierung macht auf noch nie da gewesene Weise Schluss mit Kontrolle. Gleichzeitig offenbart sie unter anderem die Verwundbarkeit der Menschen gegenüber den Sicherheitsbürokratien vieler Länder und die Unsicherheit der eigenen Daten. Der Mensch in der vernetzten Welt ist sowohl Konsument, Produkt, Bürger und Untertan gleichzeitig. Er wird umworben, analysiert, informiert aber auch verdächtigt und überwacht. Ob aus Angst vor dem nächsten 9/11 oder weil Hollywoods Lobbyisten gerne das Netz nach “Raubkopierern” durchleuchten würden, ist aus bürgerrechtlichen Gesichtspunkten egal, das Ausmaß der Datenaggregation ist nicht alleine positive Innovation. Allen unglaublich nützlichen Errungenschaften der digitalen Welt zum Trotz haben wir vollends die Hoheit über unsere Kommunikationsinhalte verloren. Wir entblößen uns vor transatlantischen Flugreisen gegenüber Institutionen anderer Nationalstaaten und denken nun vor jeder Handlung im Netz erst drüber nach, wer das wohl alles mitlesen wird, und wie es wohl später von wem auch immer interpretiert werden könnte.
Was heißt das für unsere Arbeit?
Resignation ist die falsche Antwort auf diese Schattenseiten der netzpolitischen Arbeitswelt. Mehr denn je ist es an der Zeit, sich einzumischen, sich zu beteiligen, sich zu informieren, aufzuklären und wachzurütteln. Jahrelang hat “die Netzgemeinde” vergeblich versucht, die früh als wichtig erkannten Themen in die Breite zu tragen. Auch wenn diese jetzt dort, unter negativen Entwicklungen, angekommen sind, so kann man doch konstatieren dass der gesellschaftliche Aha-Effekt zu wirken beginnt. Der Diskurs muss jetzt erweitert, verstärkt und beschleunigt werden, unter Einbeziehung aller. Das Multistakeholder-Prinzip (Beteiligung aller relevanter gesellschaftlicher Gruppen am Diskurs, auf Augendhöhe) ist nicht ohne seine Kritiker, aber nur so kann am Ende des politischen Willensbildungsprozesses auch eine Lösung stehen, die wirklich legitimiert und informiert ist und keine blinden Flecken hat.
Die Zivilgesellschaft ist dabei besonders gefragt. Deren Fragmentierung und Ressourcenmangel machen es ihr schwer, ein wichtiges Gegengewicht zu den Interessen von Staat und Wirtschaft zu bilden, obwohl das durchaus möglich wäre. Wie in vielen anderen Branchen auch, wird auch die netzpolitische Szene im Laufe ihres Erwachsenwerdens mehr Koalitionsbildung, professionelle Interessensvertretung, Verbandskonzepte und regelmäßige Koordination zu spüren bekommen, und das sollte positiv aufgenommen werden. Wen ruft ein Internetminister an, um die netzpolitische Zivilgesellschaft zu fragen, und für wen spricht die antwortende Person? Auf welche Veranstaltungen schickt er oder sie seine zeitlich gebundenen Mitarbeiter/innen?
2014 brauchen wir einen weiterhin konstruktiven Diskurs um die internetpolitischen Veränderungen in unserer Gesellschaft, in Berlin und darüber hinaus. Es arbeiten talentierte, intelligente und motivierte Menschen rund um die Uhr an diesen Themen und diese Arbeit wird künftig mehr Gewicht bekommen. Diese Menschen gehören unterschiedlichen Parteien an, haben unterschiedliche Ideen davon mit welchen Strategien unser Land vorwärts kommt, und doch haben sie alle eines gemeinsam: sie haben die Zeichen der Zeit erkannt, wie man so schön sagt, und ich hoffe doch dass es uns gemeinsam gelingt, mit den Herausforderungen umgehen zu können, die sich (nicht erst dieses Jahr) vor uns aufgetan haben.
Dieser Standpunkt spiegelt die persönliche Meinung des Autors wieder und ist nicht die Meinung des Internet & Gesellschaft Collaboratory e.V.
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