von Sebastian Haselbeck
Der folgende Text spiegelt die persönliche Meinung des Autors wieder und stellt nicht die Ansichten oder Positionen des Internet & Collaboratory e.V., seiner Mitglieder, Partner oder Förderer dar.
Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen und so blickt man um diese Jahreszeit oft zurück, denkt über Geschehenes sowie über Gegenwart und Zukunft nach. So will ich dieses Jahr auf ein mir sehr wichtiges netzpolitisches Thema hinweisen, von dem ich hoffe dass es 2013 wieder mehr Bewegung erfährt. Das Internet wurde und wird als befreiendes Medium gefeiert, es gilt als eine Hierarchien-plättende, Redefreiheit-verstärkende, Welt-verkleinernde und Individuums-stärkende Technologie, die unser Verständnis von der Welt und unsere Gemeinschaften verändert hat wie sonst wenige menschliche Erfindungen zuvor. Für viele gilt das Internet als ein befreiendes Medium. Ob man nun mehr Menschen mit seinen Worten erreicht, oder direkter interagiert, effektiver kommunizieren kann oder ungleich leichter an Informationen kommt, egal wo sie gespeichert sind und wer sie online gestellt hat.
Das Internet gilt vor allem als wahrhaft globales Medium, das keine Grenzen kennt, sich nicht an lokale Beschränkungen hält und uns alle zu Bewohnern eines globalen Dorfes macht. Doch ist das wirklich so? Neben all den urheberrechtlichen, datenschutztechnischen und anderen nationalen Gesetzgebungen, an die Nutzer und Anbieter sich zu halten haben, je nachdem von wo aus sie das Netz bereichern, gibt es im World Wide Web Entwicklungen, die so schockierend und brachial rückschrittlich sind, dass man oft nicht mal mehr in der offline Welt Analogien dafür finden kann.
Wenn das Internet weiterhin das fortschrittliche, befreiende und umfängliche Kommunkations- und Dienstenetz sein soll, dass die Menschheit zusammen bringt, dann ist es überfällig, uns mit Fällen zu beschäftigen, in denen im Internet Barrieren aufgebaut werden und wurden, die es offline schon seit Jahren nicht mehr gibt. Wir müssen aufpassen, dass wir im Internet nicht Umgebungen errichten, die restriktiver sind als der örtliche Stadtpark. Wieso lassen wir uns in der digitalen Welt Dinge gefallen, gegen die wir in der offline Welt auf die Strasse gehen würden?
Es ist leichter sich auf dem Postweg eine DVD aus China zuschicken zu lassen, als ein britisches Streaming Angebot zu nutzen (das geht in der Regel gar nicht). Ich kann meine Bücher jederzeit verkaufen oder verleihen, mit meinen eBooks geht es nicht. Diverse Industrien jammern über Umsatzeinbußen wegen Piraterie, sind aber unfähig das globale Internet dazu zu nutzen, ihre Produkte weltumspannend an jeden für Geld zu verkaufen. Stattdessen wird gesperrt, gefiltert, eingegrenzt, abgeschottet - und am Ende verklagt und verfolgt was das Zeug hält, das Internet wird verteufelt, während Milliarden von Nutzern weltweit auf ihrem Taschengeld sitzen bleiben, weil manche Industriezweige (Hollywood vorne weg) das Prinzip Angebot und Nachfrage noch nicht verstanden haben. Verblüffend ist das Phänomen der mangelnden Informationsfreiheit über Grenzen hinweg. Ich finde die Idee der 5. Freiheit in der EU unterstützenswert. Es gibt einen freien Güter-, Reise-, Finanz- und Arbeitsmarktverkehr in der EU, aber keinen für Informationen. Ob auf Papier oder digital, im Arbeits- oder Unterhaltungsbereich, Informationen machen an der Ländergrenze halt. Das muss aufhören. Es ist Irrsinn, dass ich mit einem Auto voller Waren, Menschen und Banknoten von einem Eck der EU in die andere fahren kann und an den meisten Grenzen noch nicht einmal merke, dass ich eine passiert habe. Online hingegen muss ich das Gefühl haben, der Westfälische Frieden wurde erst letzte Woche geschlossen.
Diese Probleme sind schleichend, sie fallen dem Otto-Normal-Verbraucher nur bedingt auf, sie sind Effekte von veralteten Strukturen und zu alten Entscheidungsträgern, von viel zu komplexen Lizenzmechanismen und inkompatiblen Geschäftsmodellen. Das Medium, das Grenzen am unnötigsten hat, und ohne Beschränkungen am meisten Potential entfalten kann, wird vielfach noch wie die Stiefschwester des Telegraphendiensts im Wilden Westen behandelt. Ich finde diese Situation untragbar, und wir Netzbürger (jeder ist Netzbürger, bewusst oder unbewusst) müssen lauter werden und von Politik und Wirtschaft mehr Reformwille und Vordenken einfordern. Dann können wir vielleicht irgendwann im Internet so einfach Informationen und Dienste nutzen wie Kreditkarten an amerikanischen Parkmetern, Unterhaltung unabhängig von der Frage nach dem Anbieter konsumieren oder Gott bewahre, das Gangnam Style Video sehen, dass außerhalb Deutschlands über eine Milliarde Zuschauer gefunden hat. Das Internet ist für die Freiheit, unser aller Freiheit, aber wir müssen sie uns erkämpfen - genauso wie unsere Vorfahren sich andere Freiheiten haben erkämpfen müssen.
In diesem Sinne, erholsame Feiertage und einen guten Rutsch ins Jahr 2013!